Anmerkung: Der Originalartikel war mit 5 Abbildungen versehen. Die Zeitangaben mussten angepasst werden, die Schreibweise wurde auf neue Rechtschreibung umgestellt. Eigenbezeichnungen werden kursiv gesetzt. Die Notation musste vereinfacht werden, weil diakritische Zeichen nicht darstellbar sind.
aus: Mensch und Kleidung, Doppelheft 29, Winterbach 1986, S 14-21, ISSN 0176-6856
Die sogenannten "Blauen Männer" erhielten ihren Namen von ihrer Kleidung. Als kriegerische Nomaden hatten sie keine Textilproduktion, sondern erwarben Stoffe oder fertige Kleidungsstücke auf den lokalen märkten der Sahara, des Maghreb oder Westsudan (Sahel). Die "Blauen Männer" in der Sahara sind zu einem festen Begriff geworden. Heute bezeichnet man damit nicht selten die Twareg (Tuareg) in der Zentralsahara und im Sahel von Niger und Mali. Dies geschieht dann in der Regel ohne Kenntnis der geschichtlichen Abläufe. Zwar verhüllen die Twareg ihren Kopf und ihr Gesicht meist mit einem dunkelblauen Tuch und tragen auch blaue Umhänge über der oft weißen Kleidung; trotzdem wird ihnen die fragliche Bezeichnung zu unrecht gegeben.
Historisch ist die Benennung "Blaue Männer" (Les hommes bleus) für diejenigen Mauren der Westsahara verbürgt, die sich unter dem Scheich Ma 'el- cAinain in den 80er-Jahren des vorletzten Jahrhunderts in den südlich von Marokko gelegenen Wüstengebieten sammelten. Sie trugen eine blaue Djellaba (ein langes Übergewand mit Ärmeln), einen blauen Burnus und ein blaues Turbantuch (die einheitlich gefärbte Kleidung war gleichsam Zeichen für die Zugehörigkeit zur Bewegung Ma 'el- cAinain's, die stammesübergreifend ausgerichtet war). Die Bewegung der "Blauen Männer" war aktiv im bewaffneten Kampf gegen Räuber und Mörder, die Karawanen überfielen. Später richtete sich ihr Widerstand gegen die Kolonialmächte und auch gegen das marokkanische Sultanat. Nach dem Tod Ma 'el- cAinain's blieb einer seiner Söhne noch lange als "Blauer Sultan" in Erinnerung. Diese wirkt bis heute sichtbar in Südmarokko nach.
Die Beliebtheit der blauen Farbe hat wohl viel mit der Vorstellung zu tun, dass Blau allein schon vor dem "Bösen Blick" schützt, sei es als Wandfarbe, als Keramikfliese, als Kleider- oder heutzutage als Autofarbe. Färbt ein blaues Kleidungsstück die Haut, würde sich dieser Vorstellung gemäß der Schutz übertragen - und alle Indigostoffe, wie sie in der Sahara getragen werden, färben stark ab!
Aus früheren Zeiten dringen nur spärliche Informationen zu uns. Die Felsbilder Nordafrikas zeigen das Leben der Tiere und Menschen in einzelnen Perioden durchaus naturalistisch. Die Maler verwendeten jedoch ausschließlich Erdfarben vom Gelb über Braun und Rot bis Schwarz. Eine eventuell blaue Kleidung konnte nicht gemalt werden.
Aus dem pharaonischen Ägypten kennen wir indigogefärbtes Leinen. Ähnliches wurde aus der Sahara über prähistorische Funde bisher nicht bekannt.
Die arabischen Geographen und Reisenden des Mittelalters geben uns die ersten verwertbaren Antworten. Sie berichten ab und zu über die Kleidung der Menschen, die die von ihnen bereisten Landstriche bevölkerten. So wissen wir generell, dass die berberischen Wüstenbewohner wollene und baumwollenen Kleidung trugen, die Männer ihr Gesicht verschleierten (was einem gebildeten Araber als Gegensatz zu den ihm bekannten Gebräuchen der Städte sofort auffallen musste) und auch häufig weite Umhänge verwendeten.
Von dem aus Andalusien stammenden Geographen al-Bakrî (11. Jh.) erhalten wir die einzigen Farbangaben für derartige Umhänge: rot und blau. Sie wurden damals in der Stadt Awdaghost (heute Ruinen im südlichen Mauretanien) eingeführt, also nicht dort hergestellt. Aus einer ganz anderen Gegend der Sahara, dem Fezzan und aus ägyptischen Oasen berichtet der berühmte arabische Geograph al-Idrîisî (12. Jh.) vom dort berühmten Indigoanbau. Dieser Anbau und die Farbstoffgewinnung wurde auch im 19. Jh. von europäischen Reisenden (z.B. Rohlfs) bestätigt.
Indigosträucher wachsen im gesamten Sahelbereich. Während in der Nord- und Zentralsahara keine Indigoarten natürlich vorkommen, gibt es in der Südsahara 11 verschiedene Arten. Sie gedeihen in den Trockentälern genauso wie auf weiten, sandigen Flächen. In der südlichen Sahara, im Sahel und im anschließenden Sudan ist das Rohmaterial zum Färben also von der Naturgrundlage her vorhanden. In den ägyptischen Oasen musste der dort nîl genannte Indigo schon immer im Gartenbau gezogen und gepflegt werden.
In der Westsahara wurden die blauen Stoffe selbst nie hergestellt, sondern kamen schon seit alten Zeiten aus dem Westsudan. Die Tuchstücke (beisa) hatten üblicherweise 15 m Länge bei einer Breite von 65 bis 70 cm. Dieses Maß des sogenannten Guineatuches lässt sich auf den sudanischen Webstühlen bequem herstellen. Der maurische Name für den Stoff allgemein ist hunt, für nachtblauen Indigostoff sandora, für kobaltblauen rûm.
Westsaharareisende des vorletzten Jahrhunderts wie Oskar Lenz (1880/81) berichteten, dass handbreite, blaugefärbte Baumwollstoffstreifen wegen ihres Einheitspreises sogar Währungscharakter hatten. Nach seinen Angaben wurde dunkelblauer Indigostoff im Sudan häufig getragen.
Auch von den Twareg übermittelt uns der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth (1854/55) Kenntnisse von aus handbreiten Baumwollstreifen zusammengenähten Toben und Hemden blauer Farbe. Blaue Burnusse, die er als Gastgeschenke mit sich führte, hatten einen hohen Wert.
Schon zu Barth's Zeiten war der innerafrikanische Handel der Hausa mächtigentwickelt. Ihre Baumwollartikel gelangten durch den ganzen Sahel bis zur Atlantikküste. Tuche aller Art wurden aber schon immer auch auf den innersaharischen Karawanenstraßen befördert. So hatten z.B. die Kaufleute aus Ghadames (heute Libyen) ihre Niederlassungen in Timbuktu am Niger. Europäische Tuche aus Manchester kamen in die Westsahara über Marokko. Derartige Stoffe, auf breiten Webstühlen fabriziert, konnten allerdings in Westafrika nur schwer verkauft werden. Sowohl Mauren als auch Twareg bevorzugten Kleidungsstücke, die aus handbreiten Bahnen zusammengenäht wurden. Erst als es gelang, diese Nähte (wohl durch eine Reservierung beim Indigofärben) als helle Streifen zu imitieren, waren Breitbahnstoffe absatzfähig.
Die Indigofärberei übernahmen in der Regel sudanische Färber wie Hausa oder Mossi. Von letzteren kennt man aus der Gegend von Bamako Färbezentren wie Dimbokro. Dort färben die Mossi in 17 brunnenförmigen Becken. Diese Schächte haben einen Durchmesser von 1 m und eine Tiefe von beinahe 3 m, fassen also über 2000 l Küpe.
Die in der Sahara besonders begehrten und auch sehr teuren, glänzenden, nachtblauen Stoffe müssen mehrfach gefärbt werden, bis sie beinahe schwarz sind. Durch das Übermaß an Farbstoff stellt sich ein leicht violetter Schimmer ein. Der metallische Glanz wird erzeugt, indem die gefärbten Stoffe mehrere Stunden mit Holzschlegeln geklopft werden. Ein Turbantuch aus diesem Material wird bei den Twareg in Algerien für mehrere hundert DM gehandelt (Preis um 1983).
Blaue Indigostoffe, die früher in der Westsahara auf den Märkten angeboten wurden, hatten häufig eine Appretur (celk), die auf Gummibasis (Saft der Gummiakazie) hergestellt wurde. Die Hausa-Färber verwendeten als Zusatz zum Indigo das Harz von anogeissus leiocarpa (akaoko auf tamaseq, der Sprache der Twareg). Ob dieses Harz für den metallischen Glanz mitverantwortlich ist, der sich nach dem Schlagen einstellt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.
In den 70er-Jahren des 20. Jhs. war der Marktanteil der nachtblauen sandora-Stoffe zurückgegangen. Auf den Märkten in Nord- und Westmauretanien fanden sich überwiegend hellblaue Stoffe mit geometrischem oder floralem Webdekor - eindeutig Importware. Aus dem blauen Stoff fertigten die maurischen Schneider hauptsächlich die weiten Männerübergewänder (derrâca) an. Das Frauengewand, die mlahfa, ist ein etwa 3,5 x 1,6 m messendes Wickeltuch, das um den Körper drapiert wird. Während noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich dunkelblaue oder schwarze Stoffe verwendet wurden, sieht man heute immer mehr andersfarbige oder bunte Kleidung.
Mit dem Selbständigwerden der Nationen gehen die herkömmlichen Kleidungstraditionen genauso zurück wie die alten Handwerkstechniken. Die Indigofärberei ist in diesen Wandel voll miteinbezogen. Trotzdem ist es hochwahrscheinlich, dass die traditionelle blaue Kleidung nicht völlig verschwinden wird, sondern einen angemessenen Platz im Spektrum behält.
Schlussbemerkung: Von den 11 saharischen Indigoarten konnten folgende näher bestimmt werden:
In der Westsahara: | indigofera semitrijuga |
indigofera senegalensis | |
indigofera viscosa | |
Im Tibestigebirge (Libyen/Tschad): | indigofera sessiliflora |
indigofera oblongiflora | |
Arabische Wüste östlich des Nils: | indigofera argenta |
Creyaufmüller, Wolfgang: Nomadenkultur in der Westsahara, Stuttgart 1995, 3. Auflage (1. Auflage von 1983 mit 32 Seiten Ergänzungsheft), 16 + 765 + 32 S. mit 712 + 4 Fotos und Abb.
Lévi-Provencal, Évariste; Ma' al-'Ainain, In: Enzyklopädie des Islam, Bd. 3, S. 61-62, 1936, Leiden / Leipzig.
Zum Thema "Indigo" erschien Ende 1985 ein großer Sammelband mit Beiträgen vieler Autoren : Loan Oei (Hrsg.): Indigo - Leven in een kleur, Amsterdam 1985. Obiger Artikel erschien dort in ähnlicher Fassung in niederländischer Sprache.
Zurück zum Index ohne frames - Aktivierung der frames mit dem permanenten Inhaltsverzeichnis