Carine Verleye

Der Atem der Wüste - Ein Tuaregmädchen erzählt

77 S., davon 49 S. Text, 12 Bildseiten, 12 S. Nachwort

Urachhaus, Stuttgart, 2000.


Warum trägt denn das Kamel seinen Kopf so erhaben, warum sieht es so hochmütig aus? Nun - Allah hat hundert Namen. Die Menschen kennen davon nur 99. Allein das Kamel kennt den Hundertsten.

Dies ist eine von vielen kleinen Geschichten, die man beim Lesen aufnimmt, wenn man von der Autorin recht einfühlsam in die Welt der Twareg (Tuareg) der zentralen Sahara eingeführt wird. Carine Verleye schildert das Leben einer Twaregfamilie aus der Sicht eines Mädchens an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Ein junger Mann kommt zu Besuch und eine zarte Liebe erblüht und wächst im Laufe der Zeit trotz der riesigen räumlichen Distanz. Über die Liebe zum Cousin wird man wie nebenbei in die für Mitteleuropäer doch etwas ungewohnte Verwandtschafts- und Gesellschaftsstruktur der Twareg eingeführt. Nomadenalltag, Karawanen, Feste, Dichtung und Musik leben bildhaft auf. Am Ende des Büchleins wird die Heirat gerade noch angedeutet.

Der Text ist leicht zu lesen, die Sätze sind einprägsam und kurz, der Stil so, daß Zehn- bis Zwölfjährige dieses Buch durchaus bewältigen. Die gut ausgewählten Bilder vermitteln das Leben der Twareg und runden den Text ab. Der Zeithorizont der Gesamthandlung wird ahnbar durch versteckte Hinweise auf die Zeit nach der Entkolonialisierung und liegt somit etwa in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.


Für den Klassenlehrer liegt hier ein ethnographisches Zeugnis vor, das sich gut für den Erzählstoff eignet. Das ergänzende Nachwort gibt sachliche Zusatzinformationen auf 12 Seiten zur Geographie und Ethnographie. Im Bildquellennachweis finden sich Hinweise auf G. Göttler und H. Ritter, die beide sehr gute Bücher zum Thema geschrieben haben. Leider fehlt jegliche Literaturangabe. Dies sei hier nachgeholt mit wenigstens drei Werken, die dem Vertiefung suchenden Lehrer die nötigsten Informationen und weitere Buchtips liefern:


1) Gerhard Göttler, Die Tuareg - Kulturelle Einheit und regionale Vielfalt eines Hirtenvolkes, DuMont, Köln 1989.

2) Hans Ritter, Salzkarawanen in der Sahara, Atlantis, Zürich/Freiburg 1980.

3) Wolfgang Creyaufmüller, Völker der Sahara - Mauren und Twareg, Ausstellungskatalog Linden-Museum Stuttgart 1979.


Einige kleine Fehler haben sich möglicherweise beim Übersetzen aus dem Niederländischen eingeschlichen und sollten bei einer Neuauflage verbessert werden: Die "Lederschachteln" (S. 24) heißen bata und sind in Wirklichkeit Dosen aus getrockneter Rohhaut - sie sind hart und elastisch (Leder ist weich!). Das "Kohlepulver", mit dem die Protagonistin Raisha die Augen schwärzt (S. 58) ist in Wirklichkeit pulverisiertes Antimon, das in der Zentralsahara gefunden wird - es heißt auf arabisch kohl (mit gehauchtem hartem k) und wird von Männern und Frauen mit einem Schminkstäbchen auf die Innenliedränder aufgetragen.


Trotz dieser Kleinigkeiten trägt ‘der Atem der Wüste’ seinen Namen zu recht: Das Werk ist ein schön gemachtes Jugendbuch, das auch ein Erwachsener mit Gewinn lesen wird. In einer Klassenbibliothek ab 6. Klasse sollte es nicht fehlen.

(Wolfgang Creyaufmüller, Aachen)

Zurück zum Index - Aktivierung der frames mit dem permanenten Inhaltsverzeichnis