Kamele als Entwicklungshelfer
Dritte Welt in der Schule: Projektorientierter Unterricht am Beispiel Kenia
in: Migration, Minderheiten, Kulturen (Hrsg.: Guido Schmitt), Bd. 1 (ISSN 1434-8896)
Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler, 1998, 106 Seiten (ISBN 3-8255-0208-2).
Das Buch ist eine Mischung aus ethnologischer Studie und Entwurf einer Unterrichtsreihe. Um es vorweg zu nehmen - es ist in beiden Richtungen anregend.
In der Einleitung schildert Holzäpfel seine persönliche Verbundenheit mit Kenia, durchaus familienbedingt. Als Kind war der Autor jahrelang im Land, der Vater gründete nach seiner Zeit als Entwicklungshelfer den "Förderverein Nordkenia" um den Menschen dort auch weiterhin zu helfen.
In den ‘Didaktischen Vorüberlegungen’ greift der Autor allgemeine Fragen auf und bezieht sich auf W. Klafki, einen bekannten Pädagogikautor. Beide nehmen Stellung zur sozialen Kluft zwischen Erster und Dritter Welt. Daran schließen sich erste Überlegungen zur Durchführung einer entwicklungspolitischen Bildungsarbeit mit SchülerInnen allgemeinbildender Schulen.
Die Einführung in die Dritte-Welt-Problematik ist ein theoretisches Kapitel, aber es ist leicht verständlich aufgearbeitet ohne jemals platt zu wirken. Selbst die Begriffsdefinitionen der UN werden kurz, gründlich und durchaus nachvollziehbar vermittelt (sozusagen eine gelungene didaktische Reduktion). Alle gebräuchlichen Abkürzungen des UN-Jargons sind erklärt.
Das 3. Kapitel widmet sich nun Kenia als Land. Sehr gedrängt werden Informationen zur Geographie, Ethnologie und Wirtschaft vermittelt. Hier hätten einige Seiten mehr gut getan, vor allem eine deutlich lesbare Karte größer als eine Briefmarke! Eine ausreichende Analyse ist die Stichpunktesammlung zu Kenia als Dritte-Welt-Land.
Der erste Schwerpunkt liegt im 4. Kapitel, wo ‘Hilfe zur Selbsthilfe-Projekte’ bei den Samburu Nordkenias geschildert werden. Jetzt wiederholt sich der Zyklus des 3. Kapitels mit Geographie, Ethnologie, regional auf den Samburu-Distrikt begrenzt und mehr ins Detail gehend. Lebendig wirken die Schilderungen der Änderungen der Lebensbedingungen. Die ursprünglichen Rindernomaden (vergleichbar den Massai) werden teils Ackerbauern, teils immer mehr mit den Einflüssen moderner Gesellschaft im europäischen Sinne konfrontiert. Hilfreich ist an dieser Stelle die Selbstanalyse der Samburu, wie sie ihre Probleme sehen. Holzäpfel faßte dies in einer plakativen Grafik zusammen, die vier Schwerpunkte aufzeigt: Dürre, Armut, Analphabetentum, Mangel- und Fehlernährung (S. 43). Nun folgt eine Beschreibung einzelner Projekte, die auf den ersten Blick Bodenständigkeit und direkten Nutzen allein für die Samburu erkennen lassen. Ein Beispiel: mit geringen Kosten für Zement läßt sich mit ebenfalls relativ kleinem Aufwand (es blieb leider unausgesprochen, ob Maschinen eingesetzt wurden oder nicht) ein Wadi durch einen Staudamm abriegeln. Der Damm selbst wird in Etappen erhöht, so daß er nicht von einer Flutwelle weggerissen wird. Jeder Regen spült viel Sand ein . Das Wadi hinter dem Damm füllt sich, der Sand speichert Wasser und dient als Filter. Es gibt keine offene Wasserfläche, keine Anophelesbrutgebiete (Malaria), kaum Verdunstung - genial und einfach.
Eine neu aufgebaute Mittelpunktsschule bildet heute 180 SchülerInnen aus. Zum Unterhalt wurde eine Kamelherde aufgebaut. Die Tiere versorgen alle Schüler mit ausreichend Milch, transportieren die nötigen Güter und werden selbst bei Bedarf eingetauscht. So wurden die Samburu wenigstens teilweise zu Kamelhirten.
Andere Projekte, die Holzäpfel schildert wie medizinische Versorgung durch Einheimische, Solarenergienutzung durch Parabolspiegelkocher, seien nur kurz erwähnt.
Recht ausführlich ist die nun folgende didaktische Konzeption, sprich: Was macht der Lehrer, eine ganze Klasse in einer Projektwoche in den verschiedenen Unterrichten aus diesem Thema. "Die Erfahrung. daß man in kleinen Schritten ‘doch etwas verändern kann’ ist ein wesentlicher Bestandteil der Dritte-Welt-Pädagogik. Dabei ist es wichtig, ‘vom Nahen zum Fernen’, ‘vom Kleinen zum Großen’ zu gelangen. Für die Didaktik bedeutet dies, daß sachliche Informationen stark relativiert werden müssen, denn beispielsweise eine ‘Gegenmachtserfahrung’ bezüglich Veränderungen basiert nicht auf Wissen, sondern auf Handeln. Somit wird manchmal auch das Thema ‘Dritte Welt’ nicht im unmittelbaren Mittelpunkt stehen, sondern die eigene Person und das eigene Handeln. Erst durch diese grundlegende Erfahrung können auch bestehende Strukturen verändert werden." (S. 58).
Gedacht ist diese Analyse für deine 8. Klasse, also eine Altersstufe in der Kinder noch begeisterungsfähig sind, die pädagogische Führung brauchen und noch nicht in der Schwere der folgenden Jugendjahre versinken. Dieser erlebbare Schwung zieht sich durch das ganze Kapitel. Trotzdem fehlt nicht die kritische Reflexion, das Aufzeigen der Stellen, an denen ein derartiges Projekt scheitern könnte usw. Etwas allgemeiner sind dann die mehr theoretischen Seiten zum projektorientierten Unterricht.
Das letzte Kapitel widmet sich nun ganz der Schulpraxis. Wie wird ein Projekt vorbereitet, wie wird die ‘African Week’ durchgeführt, wie ist der Abschluß in der ‘African Night’. Wie werden die Naturwissenschaften, die Sprachunterrichte, die sozialkundlichen, die musischen Fächer eingebunden, welche methodischen Bausteine lassen sich entwickeln usw.
Für eine Oberstufenklasse müßte man einiges ändern, das Grundkonzept kann bleiben. Diese in verschiedenen Alterstufen einsetzbare Projektstudie zeigt den Wert der Arbeit.
Insgesamt ist es ein gelungenes, anschauliches Beispiel der Einbindung der Ethnologie in den Schulunterricht. Für Museumspädagogen ist das Büchlein genauso lesenswert wie für den aktiven Lehrer egal welcher Disziplin.
Vom Aufbau und Umfang her könnte das Buch eine Pädagogische Abschlußarbeit sein (leider erfährt der Leser hierzu nichts).
Was fehlt: Die Anschrift des oft erwähnten Fördervereins Nordkenia, die Kontaktaufnahmemöglichkeit zum Autor, Hinweise auf mögliche Weitergabe der Materialien (Diashow, Ethnografika).
Die Bildqualität ist am unteren Rand des Vertretbaren angekommen: Das Raster ist fast so grob wie bei der Tageszeitung.
Was fiel sonst noch auf: Es gibt keinen einzigen Hinweis auf E-Mail oder Internet.
Trotz dieser Anmerkungen: Ein Buch, dar ich mit viel Gewinn gelesen habe.
(Wolfgang Creyaufmüller)
Nachtrag: Seit Sommer 2004 gibt es Internetseiten zur Thematik und zur
Biographie des Autors:
Thema: www.foerderverein-nordkenia.de
Autor: www.lars-holzaepfel.de
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