James WELCH
Fools Crow
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2001, 500 S., ISBN
3-7725-1896-0
Bei wenigen Büchern merkt man schon auf den ersten Seiten,
dass sie etwas besser sind als viele andere. Fools Crow gehört zu dieser Sorte,
ein durchaus ungewöhnliches Indianerbuch, das der Verlag 15 Jahre nach
Erscheinen der Originalausgabe jetzt in deutscher Übersetzung anbietet. Der
Autor ist Blackfeet und schreibt über sein Volk. Das indianische Denken und die
Sprache fällt sofort auf, trotz der Übersetzung. Ein 14-seitiges Glossar hilft
dem Verständnis, wenn man es benutzt. Der Reiz
der ungewöhnlichen Sprache und Sprachkraft bleibt aber länger erhalten, wenn man
ohne Glossar liest.
Der Handlungsrahmen beginnt mit der Schilderung der Lebensumstände des 18jährigen White Man’s Dog. Er ist leicht linkisch, nicht ohne Komplexe und durchaus Zielscheibe des Spotts. Sein Gefährte Fast Horse ist nicht nur beim anderen Geschlecht viel angesehener. Unter Führung des namhaften Kriegers Yellow Kidney nehmen beide an einem Pferderaubzug teil. Hier sollte sich aller drei Schicksal wenden. White Man’s Dog folgt seiner inneren Stimme, überwindet seine Kindheitsprobleme und kehrt mit reicher Beute heim. Fast Horse gerät in Konflikt mit seiner Traumvision, zerbricht daran und sinkt in die Kriminalität ab, wird letztlich vom Stamm verstoßen und Bandit. Der große Krieger wird gefangen und überlebt ohne Finger, schwer verstümmelt und als seelisches Wrack. In lockerem Wechsel werden die Biografien aller drei weitergeschildert, weil sie verknüpft bleiben. Als Panorama dient der Staat Montana südlich der kanadischen Grenze Ende der 60er bis Beginn der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts.
Ein entscheidendes Element des Buches ist, dass alle Charaktere eine bedeutende Entwicklung durchmachen und sowohl innere als äußere Krisen durchleiden. White Man’s Dog ist einerseits Lehrling beim alten Stammesschamanen, andererseits guter Jäger und dann erfolgreicher Krieger, letztlich liebevoller Ehemann. Beim Rachefeldzug für die Verstümmelung Yellow Kidneys tötet und skalpiert er den gefürchteten Häuptling der Crows. Er erbricht vor Übelkeit über sein Tun und trägt seither den neuen Namen Fools Crow. Die weitere Ausbildung zum Schamanen wird begleitet und gefördert durch übersinnliche Begegnungen mit Tierwesenheiten und Visionen, wobei der Übergang zwischen den Welten fast zwanglos, beiläufig geschieht. Hierin liegt ein weiteres starkes Moment der Erzählung. Sie ist sehr realitätsnah. Nahrungserwerb geschieht durch Jagen und Töten, Ruhm erwirbt man durch Raub, List, Täuschung und Töten. Die Sexualität gehört wie die Ernährung zum Alltagsleben und wird genauso kurz und knapp geschildert, als Naturnotwendigkeit ohne gekünstelte Romantisierung vieler Jugendbücher und ohne Verklemmtheit mit Nennung aller Probleme. So verliebt sich die jugendliche, vernachlässigte Drittfrau des Vaters in den Protagonisten und befreit sich durch ein Opfer von ihren Gefühlen, geht später eine Liaison mit seinem Bruder ein und wird von der Familie entdeckt. Die sich hieraus ergebenden Komplikationen werden einerseits hart, andererseits großherzig gelöst.
Yellow Kidney geht als Verstümmelter selbst in die Verbannung, erfährt in der Einsamkeit ein Neuerwachen des Lebensmutes und wird in diesem Moment von Weißen getötet, ohne anderen Grund, als nur Indianer zu sein. Fast Horse ermöglicht das Totenritual.
Fools Crow wird in Abwesenheit des Schamanen als Heiler tätig – sein an Tollwut erkrankter Bruder gesundet. Obwohl dies eigentlich der Durchbruch wäre für eine erfolgreiche Karriere als Medizinmann, führt Welch die Erzählung anders weiter. Fools Crows großartige Vision über die Zukunft seines Volkes trifft zeitlich mit dessen Dezimierung durch US-Truppen und die Pockenepidemie zusammen, stellt aber doch Hoffnung für die wenigen Überlebenden in Aussicht.
Ein großartiges Buch mit tiefer spiritueller Dimension und außergewöhnlicher Sprachkraft.
(Wolfgang Creyaufmüller, Aachen)